Von der Schönheit des Gummibaums

Von der Schönheit des Gummibaums

2022
Darf man Zimmerpflanzen schneiden?

Zimmerpflanzen sind fester Bestandteil unserer Wohn-Kultur. Sie sind durch Seefahrt und Kolonialismus zu uns gekommen. Zuerst kamen sie natürlich nicht direkt zu uns, sondern in die geräumigen Gewächshäuser der Adeligen. Als im 19. Jhd. die Bürger zu Geld kamen, ihre Wohnungen heller wurden und besser geheizt, konnten sich auch die wohlhabenden Bürger riesige Palmen und Gummibäume in ihre Räume stellen.

Nach dem ersten Weltkrieg, in den sachlichen und krisenhaften 20er Jahren, wählte man eher den platzsparenden kleinen grünen Kaktus. In den 50er Jahren betrug die durchschnittliche Wohnfläche pro Person 25 qm. Wer mehr hatte, konnte nun, nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges, die Sehnsucht nach einem gepflegten Heim mit einem Gummibaum dekorieren.

Heute sind Zimmerpflanzen wieder „Trend“. Warum eigentlich? Die durchschnittliche Wohnfläche von fast 50 qm bietet Platz für Pflanzen. Erlauben wir uns damit einfach eine kleine, freundliche Nutzlosigkeit? Sind sie wieder Teil von Repräsentation? Wie auch immer – unsere Zimmerpflanzen werden im Internet ausführlich diskutiert.
Höchste Zeit, ihnen einen Platz in der Kunst zu geben.

Ich mag an dem Thema, dass es pathosfrei ist in einer Zeit voller existenzieller Fragestellungen, die mich manchmal überfordern.
Aber: auch ein Gummibaum kann durch seine schiere Größe überfordern.
„Darf man Zimmerpflanzen schneiden?“ Auf den Internetseiten für Zimmerpflanzen wird das ausdrücklich empfohlen und erlaubt.

Ganz konkret bei dem Gummibaum aus unserer Wohnung sah es allerdings so aus: Ich durfte nicht.

Das war ein Konflikt. Die Pflanze gehört meinem Mann. Sie wurde immer größer. Er liebte es, ihr Wachstum zu begleiten. Ich wollte ihr nicht so viel Wohnraum abgeben. Mein Mann und ich einigten uns irgendwann darauf, dass er sie aus unserem kleinen Wohnzimmer in sein Arbeitszimmer räumt. Dort wurde es ziemlich eng. Vor Jahren habe ich den Fehler gemacht, eine Riesenpflanze meines Mannes, die ins Treppenhaus umgezogen war, zurückzuschneiden. Das hat unsere Beziehung auf eine harte Probe gestellt. Diesen Konflikt wollte ich nicht wiederholen.

Gut, dass es die Kultur gibt.
Eine wunderbare Möglichkeit der Kunst ist es, unsere Konflikte und Widersprüche, Ängste und Aggressionen auf einer symbolischen Ebene zu bearbeiten.
Die Technik des Scherenschnittes war da im Falle des Gummibaums naheliegend und hilfreich.

Die heilsame Wirkung der Kunst erstaunte mich: Mir gefielen nun die Einzelteile; ich mochte die kraftvollen Formen.
Da der Gummibaum vorübergehend in mein Arbeitszimmer umzog, erlebte mein Mann sein Zimmer ohne Gummibaum als luftig und offen und war nun bereit, sich von seiner geliebten Pflanze zu trennen. Sie durfte in ein Yoga-Studio umziehen.


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