Kunst:Geschichte der Lisa Kümmel
2022
Kunst:Geschichte der Lisa Kümmel
„In der Marcobrunnerstraße 3 hatte Lisa Kümmel ihr Atelier. Hier nutzte sie die knappe Zeit zwischen der Schreinerei der Eltern und ihrer Arbeit mit und für Jawlensky. Die Station 24 des Jawlensky-Pfades weist darauf hin.
Ihr Name ist fest mit ihrer Rolle als ergebene Helferin Jawlenskys verbunden. Aber wie so oft in der Geschichte solcher Arbeits-Partnerschaften wird vermutet, dass viele seiner Arbeiten auf ihre Anregungen zurück gehen, oder sogar aus ihrer Hand stammen. Immerhin war sie nicht nur eine exquisit ausgebildete Künstlerin, sondern kam auch aus einem erfolgreichen Geschäftshaushalt, den ihre Mutter wie alle Handwerkergattinnen wirtschaftlich und organisatorisch führte.
Ein Fund aus dem Keller ihres Ateliers in der Marcobrunnerstrasse 3 stützt nun diese Vermutung. Diese Kleinskulptur, das Vorbild für eines von Jawlenskys Stilleben, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von Lisa Kümmels Hand. Genial, dass nicht nur die Komposition, sondern auch die Großzügigkeit des Gemäldes schon in der Gestaltung der Kleinskulptur vorbereitet wurde. Sie wird in der Ausstellung WIR ZWEI erstmalig am Ort ihrer Entstehung gezeigt.
Bisher ging die Forschung davon aus, dass Naturblumen als Motiv dienten. Immerhin wird im Titel die Vase auffallend betont. Die grobe, großzügige Malweise des Jawlensky-Bildes kann nun in neuem Licht gesehen werden. Es wird deutlich, dass die Gestaltung des „Blumenarrangements“ das Gemälde maßgeblich prägte.
Möglicherweise werden auch für andere „Blumen“stilleben solche Konstruktionen von Lisa Kümmels Hand gefunden werden, die die Abstraktion in die Gestaltung des Motivs vorverlegt. Die Aufbewahrung des artifiziellen Blumenarrangements zusammen mit dem stark genutzten Malkasten der Lisa Kümmel lässt vermuten, dass dieser im Hintergrund von Jawlenskys Bild angedeutet ist.
Wir können das als Hinweis darauf verstehen, wie hoch Jawlensky die Malerei seiner Kollegin und Geschäftspartnerin geschätzt hat. Eine weitergehende Hypothese geht davon aus, dass Lisa Kümmel selbst das Blumenstilleben gemalt hat. Die Vermarktung war unter Jawlenskys Namen so viel leichter. Mit seinem Lebenslauf und seinem Auftreten passte er so gut in die Wiesbadener Gesellschaft. Wer hätte schon die Arbeit einer jungen Frau gekauft? Mit diesem banalen Vor- und Nachnamen. Und dann noch mit einem typisch weiblichen Blumenmotiv. Und die Malerei fiel ihr so leicht – eine ideale Nutzung ihrer künstlerischen und merkantilen Fähigkeiten. Die Rolle der harmlos-freundlichen Assistentin bot einen diskreten Schutz. Ob diese Art der Zusammenarbeit auf die Idee von A.J. oder L.K. zurückgeht, wissen wir nicht. A.J. jedenfalls konnte dadurch trotz fortschreitender Krankheit seine Familie ernähren. Wie viele Werke Lisa Kümmels fälschlich Jawlensky zugeschrieben werden, wissen wir nicht.
Nun endlich nach Jahrzehnten der Fremdnutzung sind die Räume Marcobrunnerstrasse 3 wieder in Künstlerinnenhand. Seit zwei Jahren sind sie die Heimat des BBK-Wiesbaden, Bund Bildender Künstlerinnen (Dem Zeitgeist folgend, werden auch Männer aufgenommen, sofern sie den hohen Qualitätsstandards genügen).
Im Gedenken an Lisa Kümmels Leben und Werk wird heute der Bund Bildender Künstlerinnen vom Kulturamt der Stadt Wiesbaden am Ort von Lisas Schaffen gefördert. So kann der Zwiespalt zwischen dem traditionell weiblichen Bemühen um das Wohlergehen der Männer und eigenen Zielen, Risiken und hoffentlich auch Erfolgen immer wieder neu entschieden und erfunden werden. Dafür bin ich sehr dankbar.“





